Voyager 1 und 2: Grenzgänger des Sonnensystems (2024)

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Voyager 1 und 2: Grenzgänger des Sonnensystems

Die beiden Voyager-Sonden sind weiter ins All gereist als jedes andere menschengemachte Objekt– und senden auch nach Jahrzehnten noch immer Daten. Doch die schwindende Energieversorgung macht ein baldiges Ende der Mission unabwendbar.

Tim Folger

Voyager 1 und 2: Grenzgänger des Sonnensystems (1)

Zwei der bemerkenswertesten Raumsonden, die jemals gestartet sind, verdanken ihren Weg ins All einem besonders günstigen Zusammentreffen im Sonnensystem. Genau genommen bewegten sich vor etwa 60Jahren die vier Riesenplaneten langsam in eine seltene Konstellation, die zuletzt im frühen 19.Jahrhundert aufgetreten war. Das planetarische Schauspiel blieb weitgehend unbeachtet– bis ein Doktorand der Luft- und Raumfahrttechnik am California Institute of Technology, Gary Flandro, die Chance erkannte.

1965 hatte die Ära der Weltraumforschung gerade erst begonnen. Nur acht Jahre zuvor hatte die Sowjetunion Sputnik1 gestartet, den ersten künstlichen Satelliten. Flandro hatte vom Jet Propulsion Laboratory(JPL) der NASA die Aufgabe erhalten, den effizientesten Weg zu finden, um eine Raumsonde zu den großen äußeren Planeten zu schicken, das heißt zu Jupiter, Saturn, Uranus oder gar Neptun. Dazu nutzte er eines der beliebtesten Präzisionswerkzeuge der Ingenieure des 20.Jahrhunderts– einen Bleistift– und zeichnete die Umlaufbahnen auf. Dabei bemerkte er etwas Faszinierendes: In den späten 1970er und frühen 1980erJahren würden alle vier in einem langen Bogen zur Erde aufgereiht sein wie auf einer himmlischen Perlenkette.

Durch das Zusammentreffen könnte ein Raumflugkörper auf einer passenden Bahn an jedem der Riesenplaneten mit Hilfe von dessen Anziehungskraft ein wenig Schwung nehmen. So ein Manöver wird als Swing-by bezeichnet. Flandro berechnete, dass die wiederholten, beschleunigenden Umlenkungen die Reisezeit zwischen Erde und Neptun von 30 auf 12Jahre verkürzen würden. Allerdings lagen zwischen der bevorstehenden und der darauf folgenden derartigen Konstellation 176Jahre. Um die Anordnung in absehbarer Zeit auszunutzen, musste deswegen bis Mitte der 1970erJahre ein Raumschiff starten.

Letztlich baute die NASA zwei Raumsonden, Voyager1 und Voyager2. Ihre Konstruktion gleicht sich bis ins Detail. Nach dem Start im Sommer 1977, der innerhalb von 15Tagen erfolgte, sind sie weiter gereist und haben länger durchgehalten als jede andere Mission der Raumfahrtgeschichte– und funktionieren noch heute. Dabei drangen sie in den interstellaren Raum vor, das ist die Grenze zwischen dem Einflussbereich der Teilchen der Sonne und dem Rest der Galaxie. Das ist ihnen als den ersten von Menschenhand geschaffenen Objekten gelungen; eine Auszeichnung, die sie mindestens einige Jahrzehnte lang behalten werden. Und dabei war das Voyager-Programm ursprünglich nur für eine Dauer von vier Jahren angelegt.

Zu Beginn ihrer Reise ermöglichten die Voyager-Sonden die ersten Nahaufnahmen der Monde von Jupiter und Saturn und enthüllten die Existenz aktiver Vulkane und zerklüfteter Eisfelder auf Himmelskörpern, von denen die Fachwelt angenommen hatte, sie seien äußerlich so unspektakulär wie unser eigener Mond. 1986 flog Voyager2 als erste und bis heute einzige Raumsonde an Uranus vorbei, drei Jahre später an Neptun. Jetzt sind Voyager1 und 2 als interstellare Pioniere mehr als 150-mal so weit entfernt von der Erde wie die Sonne und liefern faszinierende Daten aus den unerforschten interstellaren Regionen.

Die außerordentlich ertragreiche Odyssee geht nun allerdings zu Ende. Im Lauf der Jahre hat die NASA immer mehr nicht zwingend notwendige Komponenten abgeschaltet, um die Mission bis etwa 2030 zu verlängern. Für das Team, in dem viele von Anfang an mitgearbeitet haben, ist es eine bittersüße Zeit. Ralph Mcnu*tt vom Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory(APL) in Howard County, Maryland, ist stolz auf die Sonden, denen er einen Großteil seiner Karriere gewidmet hat: »Die verflixten Dinger haben das Zehnfache ihrer Garantiezeit durchgehalten.«

Dabei sah es zunächst gar nicht danach aus, als würde aus Flandros Vision Wirklichkeit. Anfangs schmiedete die NASA zwar Pläne für eine so genannte Grand Tour, bei der bis zu fünf Sonden zu den vier Riesenplaneten und zu Pluto geschickt werden sollten. Das war ehrgeizig– und zu teuer für den US-Kongress. »Es gab diesen wirklich großen Traum«, erinnert sich die JPL-Planetenforscherin Linda Spilker, die wenige Monate vor dem Start der Voyager-Missionen zu dem Projekt kam. »Aus Kostengründen wurde er zusammengestrichen.«

Der Kongress genehmigte lediglich eine abgespeckte Version der Grand Tour, die ursprünglich Mariner Jupiter-Saturn1977 oder kurz MJS77 hieß. Zwei Raumsonden sollten zu nur zwei Planeten reisen. Allerdings entwickelten die NASA-Ingenieure heimlich Geräte, die den Beanspruchungen während einer viel längeren Mission standhalten würden. Ihre Hoffnung: Sobald sich die Zwillingssonden bewährt hätten, würde ihre Route anschließend auf Uranus und Neptun ausgedehnt werden, vielleicht sogar darüber hinaus.

Eine riskante technologische Wette

»Das Hauptziel war eine Missionsdauer von vier Jahren«, berichtet Suzanne Dodd, die nach einer 20-jährigen Auszeit vom Voyager-Team 2010 als Projektleiterin dorthin zurückkehrte. »Doch wenn jemand die Wahl hatte, eine um zehn Prozent teurere Komponente einzubauen, die robuster, aber für vier Jahre nicht unbedingt nötig war, dann hat er das einfach gemacht. Davon hat das Management im Zweifelsfall gar nichts mitbekommen.« Für sogar weitaus bemerkenswerter hält Dodd es, dass auf die Weise zwei Raumfahrzeuge gebaut werden konnten, die beide immer noch funktionieren.

Sowohl in Bezug auf die Technik als auch auf die Navigation im Weltraum war dies Neuland. Das Motto »Scheitern ist keine Option« war längst nicht geprägt worden, und zu der Zeit wäre es auch nicht sehr passend gewesen. Donald Gurnett war Plasmaphysiker an der University of Iowa und einer der ersten Wissenschaftler des Voyager-Teams. Bei einem Gespräch für diesen Artikel einige Wochen vor seinem Tod im Januar2022 meinte er, nur halb im Scherz und mit Blick auf die hohe Ausfallrate: »Damals starteten wir immer zwei Raumfahrzeuge.«

Als die beiden Voyager-Sonden gebaut wurden, hatte bis dahin nur ein einziger Flugkörper ein Swing-by-Manöver auf dem Weg zu einem anderen Planeten genutzt: Mariner10 holte auf dem Weg zu Merkur Schwung bei der Venus. Die Voyager-Mission basierte hingegen auf einer Reihe mehrerer, aufeinander abgestimmter Begegnungen, bei denen die Fehlertoleranz lediglich im Bereich einiger zehn Minuten lag. Bereits die erste Station, Jupiter, ist zehnmal weiter von der Erde entfernt als Merkur. Außerdem lag auf dem Weg dorthin der Asteroidengürtel mit potenziell gefährlichen Geschossen. Zu der Zeit war nicht sicher, ob man ihn überhaupt durchqueren könnte, »ohne in Stücke gerissen zu werden«, so Mcnu*tt. Doch die Sonden Pioneer10 und 11 ebneten den Weg. Sie durchflogen in den frühen 1970er Jahren den Gürtel unbeschadet– er erwies sich als größtenteils leererRaum.

Für all diese Herausforderungen brauchten die etwa kleinwagengroßen Voyager-Sonden leistungsfähige Bordcomputer, die allerdings nach heutigen Maßstäben geradezu lächerlich erscheinen. Mit 69Kilobyte haben sie »weniger Speicher als der Schlüsselanhänger, mit dem Sie Ihre Autotür öffnen«, wie es Spilker ausdrückt. Alle von den Instrumenten der Raumsonde gesammelten Daten werden auf Magnetbandgeräten gespeichert und dann mit einem 23-Watt-Sender zur Erde geschickt. Das entspricht in etwa der Leistung einer schwachen Glühbirne. Um dennoch erfolgreich mit der Erde zu kommunizieren, ist auf jeder der Sonden eine 3,6Meter breite Parabolantenne montiert.

»Damals fühlten wir uns auf dem neuesten Stand der Technik«, resümiert Caltech-Physiker Alan Cummings aus dem Voyager-Team. »Zugleich war es erstaunlich, wie schnell alles ging.« Innerhalb von vier Jahren entstanden drei Raumfahrzeuge, darunter ein voll funktionsfähiges Testmodell. Einige Monate vor dem Start erfolgte dann die Taufe zu Voyager1 und 2. Cummings kann etwas Besonderes von sich behaupten: »Ich war der letzte Mensch, der die Raumsonden vor dem Start berührt hat.« Er war für zwei Detektoren verantwortlich, mit denen der Fluss von Elektronen und anderen geladenen Teilchen im Umfeld der Riesenplaneten gemessen werden sollte. Die Partikel fielen durch ein kleines Fenster ein, das von einer nur drei Mikrometer dünnen Aluminiumfolie bedeckt war. Weil Cummings befürchtete, Techniker könnten bei letzten Arbeiten versehentlich Löcher in die Folien reißen, »mussten sie unmittelbar vor dem Start überprüft werden. Tatsächlich saß eines der Fenster etwas locker.«

Voyager1 erreichte Jupiter im März1979, 546Tage nach ihrem Start. Voyager2 folgte einer anderen Flugbahn und kam im Juli desselben Jahres an. Beide erzeugten mit Rot-, Grün- und Blaufiltern Farbbilder. Zur Stabilisierung drehten sich die Sonden, aber lediglich gut 15-mal langsamer als ein Stundenzeiger einer Uhr. Das minimierte die Bewegungsunschärfe der Bilder.

Cummings erinnert sich lebhaft an den Moment, in dem er den ersten Blick auf Io erhaschte, Jupiters drittgrößten Mond. »Ich ging zu einem Gebäude auf dem Campus, wo ein Livestream der einlaufenden Aufnahmen gezeigt wurde«, sagt er. »Da war dieses große, orange-schwarze Bild. Ich dachte, die Studenten hätten sich einen Scherz erlaubt und ein Foto von einer schlecht gebackenen Pizza aufgespielt.« Die farbenfrohe Optik war völlig unerwartet. Zuvor galten alle Monde im Sonnensystem als mehr oder weniger gleich und unspektakulär. Niemand hatte mit der Vielfalt gerechnet, die im Lauf der Mission enthüllt werden würde.

Den ersten Hinweis auf geologisch überraschend aktive Monde gab es bereits aus einer Entfernung von mehr als einer Million Kilometern. Eines der Instrumente, der LECP-Detektor (für: low-energy charged particle), lieferte seltsame Signale. »Wir identifizierten Ionen von Sauerstoff und Schwefel, die auf den Detektor trafen«, erinnert sich der inzwischen emeritierte Leiter der APL-Raumfahrtabteilung Stamatios Krimigis, der das LECP-System entwickelt hat. Die Menge der Ionen war im Vergleich zu den bis dahin gemessenen Werten um drei Größenordnungen angestiegen. Zunächst dachte sein Team an eine Fehlfunktion. »Wir untersuchten die Daten«, sagt Krimigis, »aber daran schien alles in Ordnung.«

Die Kameras lösten das Rätsel bald auf: Auf Io gibt es Vulkane. Der Mond, der etwas größer als der irdische ist, gilt heute in der Hinsicht sogar als der aktivste Körper im Sonnensystem. »Bis zu diesem Zeitpunkt fand der einzige bekannte Vulkanismus auf der Erde statt«, sagt Edward Stone, der seit 1972 als Projektwissenschaftler für die Voyager-Missionen tätig ist. »Und hier gab es plötzlich auf einem Mond zehnmal so viel davon.« Die seltsamen Farben von Io stammten ebenso wie die mysteriösen Ionen von dabei ausgestoßenen Elementen. Der größte der Vulkane, Pele, verursacht Ausbrüche mit der 30-fachen Höhe des Mount Everest; seine Auswürfe bedecken ein Gebiet von der Größe Frankreichs.

Eine beispiellose Bilderflut mit einem letzten Foto unseres Heimatplaneten

Insgesamt haben die Voyager-Sonden mehr als 33000Fotos von Jupiter und seinen Trabanten gemacht. Mit fast jedem kamen neue Entdeckungen. Beim Abschied von Jupiter erhielten die Sonden von diesem durch Swing-by-Manöver eine zusätzliche Geschwindigkeit von jeweils etwa 15Kilometern pro Sekunde. Ohne solch einen gravitativen Schubs wären sie nicht in der Lage gewesen, auf der Reise die Anziehungskraft der Sonne dauerhaft zu überwinden und den interstellaren Raum zu erreichen.

Am Saturn trennten sich die Wege. Voyager1 raste durch die Saturnringe, flog an seinem Mond Titan vorbei und stieß dann nach oben aus der Ebene der Planeten heraus. Voyager2 indessen bewegte sich weiter zu Uranus, wo sie 1986 dessen Ringsystem sowie zehn bis dahin unbekannte Monde fotografierte (ein elfter wurde erst 1999 auf den Aufnahmen identifiziert). Drei Jahre später kam Voyager2 der azurblauen Methanatmosphäre des Neptunsnahe.

Zwar wurde die Mission weiter verlängert in der Hoffnung, bis in den interstellaren Raum vorzudringen, doch erwartete kaum jemand mehr lohnenswerte Fotos, sondern nur endlose Leere vor unvorstellbar fernen Sternen. Die Kameras sollten abgeschaltet werden. Die Bilder von Neptun und seinen Monden wären die letzten gewesen, wenn sich nicht der 1996 verstorbene Astronom Carl Sagan mit einer originellen Idee durchgesetzt hätte.

Die größten Hits

Die Zwillingssonden statteten den vier größten Planeten einen Besuch ab, zunächst Jupiter und Saturn. Insbesondere die Jupitermonde bargen Überraschungen: Europa offenbarte eine dicke, zerfurchte Eiskruste und Io den intensivsten Vulkanismus des Sonnensystems. Voyager2 flog danach weiter zu Uranus und Neptun und ist bis heute die einzige Raumsonde, die den Eisriesen nahekam.

Sagan überzeugte die NASA davon, Voyager1 eine finale Serie von Bildern übermitteln zu lassen. Am Valentinstag1990 visierten die Kameras das innere Sonnensystem an und machten in einem Schwenk 60Aufnahmen. Die eindringlichste von ihnen zeigt die Erde aus einer Entfernung von etwa sechs Milliarden Kilometern, dem rund 40-fachen Abstand zwischen Sonne und Erde (40Astronomische Einheiten, AE). Sie erscheint als blasser, bläulicher Bildpunkt, als »Pale Blue Dot«– unter dem Namen wurde die Aufnahme berühmt. Im Sonnenlicht, das von der Optik der Kamera reflektiert wurde, ist unsere irdische Heimat kaum noch zu erkennen.

Beide Sonden sind inzwischen so weit von der Erde entfernt, dass ein lichtschnelles Funksignal bis zu Voyager1 knapp 22Stunden braucht und gute 18Stunden bis zu Voyager2. Jeden Tag entfernen sie sich um weitere drei bis vier Lichtsekunden. Ihre einzige Verbindung zur Erde ist das Deep Space Network der NASA. Das sind drei Antennenkomplexe, die rund um den Globus verteilt sind und so während der Drehung der Erde eine ständige Kommunikation mit den Raumsonden ermöglichen. Je größer die Entfernung ist, desto schwächer werden die Signale und desto schwieriger wird es, sie aufzufangen.

Doch es lohnt sich, dem Flüstern weiter zuzuhören. Die Daten vom Eintritt in die interstellare Phase der Mission haben viele völlig überrascht. Übrigens warnten Stone und andere aus dem Voyager-Team bei den Interviews zu dem Artikel davor, die Grenzen des interstellaren Raums mit denen des Sonnensystems zu verwechseln. Zum Sonnensystem gehört etwa außerdem die weit entfernte Oortsche Wolke, eine kugelschalenförmige Ansammlung von kometenähnlichen Körpern, die sich gerade noch im Einflussbereich der Schwerkraft der Sonne befinden. Die Voyager-Sonden werden den inneren Rand der Oortschen Wolke frühestens in 300Jahren erreichen. Aber der interstellare Raum liegt viel näher. Er beginnt dort, wo ein Phänomen namens Sonnenwind endet.

Die Sonne schleudert ständig geladene Teilchen von sich, in deren Schlepptau wiederum die solaren Magnetfelder durchs All pflügen. Dieser Sonnenwind strebt wie ein sich aufblähender Ballon in alle Richtungen von der Sonne weg und bildet die »Heliosphäre«. Anfangs ist die Ausbreitung überschallschnell, doch schließlich bremst der Druck der interstellaren Materie die Expansion. Dadurch entsteht eine so genannte Randstoßwelle (englisch: termination shock) als erste Grenze zum interstellaren Raum. Danach folgt schließlich ein Bereich, in dem sich die nunmehr langsamer gewordenen solaren Teilchen und Magnetfelder mit denen des interstellaren Mediums mischen (Heliohülle, heliosheath). Die endgültige Grenze zum interstellaren Raum, ab der kein Einfluss der Sonnenpartikel mehr zu erkennen ist, heißt Heliopause. Vor der Ankunft der Voyager-Sonden schwankten die Schätzungen der Entfernung bis dorthin dramatisch.

»Offen gestanden waren einige der Werte nur geraten«, so Gurnett. Eine frühe Angabe sah die Heliopause so nahe wie den Jupiter. Gurnett berechnete 1993 eine etwa 25-mal weitere Entfernung von 116 bis 177AE. Diese Zahlen, erinnert er sich, seien im Kollegium nicht gut angekommen. 1993 hatte Voyager1 bereits 50AE hinter sich. »Wenn die Heliopause bei 120AE liegen sollte, bedeutete das, wir hatten zusätzliche 70AE vor uns.« Somit würden die Sonden mit einem Tempo von etwa 3,5AE pro Jahr zwei Jahrzehnte brauchen, bevor sie die Heliosphäre verließen.

Daraufhin stellten sich beunruhigende Fragen: Würden die Voyagers so lange durchhalten? Wie steht es um die Finanzierung der Mission? Diese war auch in der Erwartung verlängert worden, die Heliopause bei etwa 50AE aufzufinden. Doch hier war keines der erwarteten Anzeichen eines interstellaren Transits festzustellen. So hätte die entsprechende Voyager-Sonde einen starken Anstieg der galaktischen kosmischen Strahlung registrieren müssen, die von Supernovae und anderen energiereichen Prozessen im umliegenden Weltraum stammt. Das Magnetfeld der Heliosphäre lenkt die meisten niederenergetischen kosmischen Strahlen ab, bevor sie das innere Sonnensystem erreichen. »Es schirmt uns von mindestens 75Prozent dessen ab, was da draußen vorgeht«, sagt Stone. Das Voyager-Team erwartete außerdem einen Richtungswechsel des vorherrschenden Magnetfelds. Die interstellaren Felder stammen vermutlich von nahen Sternen und riesigen Wolken aus ionisiertem Gas und haben aller Wahrscheinlichkeit nach eine andere Orientierung als das Magnetfeld der Heliosphäre. Auch hier zeigte sich im Bereich von 50AE keine Veränderung.

»Bei einer so langen Mission werden die Beteiligten allmählich zu einer Familie«Linda Spilker, Planetenforscherin

Die Schätzungen von Gurnett erwiesen sich als prophetisch– tatsächlich erreichte erst zwei Jahrzehnte später eine der Sonden endlich die Heliopause. Bis dahin gelang es gerade eben, die weitere Finanzierung sicherzustellen, währenddessen schrumpfte das Team von Hunderten auf ein paar Dutzend. Die meisten von ihnen sind immer noch im Einsatz und fühlen sich umso enger verbunden. »Bei einer so langen Mission werden die Beteiligten allmählich zu einer Familie«, erzählt Spilker. »Wir wurden ungefähr zur gleichen Zeit Eltern. Wir haben gemeinsam Urlaub gemacht. Inzwischen arbeiten wir generationenübergreifend, und einige der jüngeren Teammitglieder waren beim Beginn der Mission nicht einmal geboren.«

Als Voyager1 im August 2012 schließlich die Heliopause durchquerte, waren einige der Daten verblüffend. »Wir haben die Bekanntgabe herausgezögert, weil wir uns nicht darüber einig werden konnten, ob der interstellare Raum wirklich erreicht war«, erinnert sich Cummings. »Die Diskussionen liefen etwa ein Jahr lang.« Voyager1 hatte tatsächlich die erwartete sprunghafte Änderung in der Plasmadichte festgestellt. Laut dem von Gurnett entwickelten Plasmawellendetektor stieg sie auf das 80-Fache. Allerdings gab es keine Anzeichen für eine veränderte Ausrichtung des umgebenden Magnetfelds. »Das war ein Schock«, meint Cummings. »Und es beunruhigt mich immer noch.«

Zweiter Grenzübertritt mit neuen Rätseln

Auch Voyager2 erreichte schließlich die Grenze. Als es im November2018 so weit war, zeichneten ihre Instrumente ebenfalls keine Abweichung beim Magnetfeld auf. Ein weiteres Rätsel kam hinzu: Die Sonde stieß bei einer Entfernung von 120AE auf die Heliopause– dieselbe Distanz wie bei ihrem Zwilling sechs Jahre zuvor. Die gute Übereinstimmung passte nicht zu den theoretischen Modellen, laut denen sich die Heliosphäre im Einklang mit dem elfjährigen Aktivitätszyklus der Sonne ausdehnen und zusammenziehen sollte. Im Lauf dieser Zeitspanne ebbt der Sonnenwind ab und nimmt zu. Voyager2 kam an der Heliopause an, als die Auswirkungen ziemlich ausgeprägt und die Grenzregionen entsprechend weiter außen hätten sein sollen. »Das hatte niemand so erwartet«, sagt Krimigis. »Die Theorie erschien im Licht der Messungen als unzureichend.«

Jetzt, da es echte Daten gibt, werden die Modelle der Wechselwirkungen zwischen der Heliosphäre und der interstellaren Umgebung immer komplexer. Gary Zank, Astrophysiker an der University of Alabama in Huntsville, erläutert das inzwischen vorherrschende Bild: Unsere Sonne ging zunächst aus einer heißen, ionisierten Region der Milchstraße hervor und trat dann in ein nur teilweise ionisiertes Areal ein. Die heiße Region bildete sich wahrscheinlich als Folge von Supernovae. Ein oder mehrere nahe gelegene alte Sterne explodierten am Ende ihres Lebens und entrissen mit der dabei ausgesandten Energie den umliegenden Atomen die Elektronen. Die angrenzenden Bereiche kann man sich laut Zank als »eine Art Meeresbrandung vorstellen, mit aufgewirbeltem Wasser und durcheinanderlaufenden Wellen«. Wir befänden uns in einer solchen turbulenten Region, erklärt er. »Die Magnetfelder werden verdreht und verlaufen nicht so glatt, wie es Theoretiker gern hätten.« Das Ausmaß der Turbulenzen kann indessen je nach Art der Beobachtung unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Voyager-Daten zeigen auf großen Skalen nur geringe Feldschwankungen, aber viele kleinräumige Fluktuationen um die Heliopause. Sie werden durch den Einfluss der Heliosphäre auf das interstellare Medium verursacht. Irgendwann dürften die Raumsonden diese aufgewühlten Zonen verlassen und endlich auf das ungetrübte interstellare Magnetfeld treffen.

Vielleicht ist das Bild aber auch völlig falsch. Manche Forscher wie Lennard Fisk von der University of Michigan glauben, die Voyager-Sonden hätten die Heliosphäre noch immer nicht hinter sich. »Es gibt keinen Grund dafür, dass die Magnetfelder in der Heliosphäre und im interstellaren Medium genau die gleiche Ausrichtung haben«, so Fisk. Er hat zusammen mit seinem Kollegen George Gloeckler, einem langjährigen Angehörigen des Voyager-Missionsteams, an einem neuen Modell der Heliosphäre gearbeitet. Es verlagert den Rand der Heliosphäre um weitere 40AE nach außen.

Die meisten Fachleute finden jedoch den gemessenen dramatischen Anstieg der galaktischen kosmischen Strahlung und der Plasmadichte überzeugend genug. »Angesichts dessen ist es sehr schwierig zu argumentieren, die Sonden befänden sich nicht wirklich im interstellaren Raum«, meint Cummings. »Andererseits es ist ja auch nicht so, dass alles perfekt zusammenpasst. Deshalb brauchen wir eine interstellare Sonde.«

Mcnu*tt setzt sich schon seit Jahrzehnten für eine neue Mission ein. Seine Gruppe an der Johns Hopkins University hat in einem ausführlichen Bericht Pläne für eine interstellare Sonde formuliert. Sie könnte in den 2030erJahren starten und innerhalb von 15Jahren die Heliosphäre erreichen, also 20Jahre schneller als Voyager1. Im Gegensatz zur Voyager-Mission wäre die interstellare Sonde speziell für die Untersuchung der äußeren Zonen der Heliosphäre konzipiert. Noch steht die Entscheidung durch die Dachorganisation der US-Wissenschaftsakademien aus, ob die Mission zu den Prioritäten der NASA für das kommende Jahrzehnt zählensoll.

»Es ist so, als würde man ein Goldfischglas aus der Sicht des Fisches beschreiben wollen«Ralph Mcnu*tt, Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory

Eine interstellare Sonde könnte eine grundlegende Frage über die Heliosphäre beantworten: Wie sieht die Struktur aus, wenn man von außen darauf schaut? »Wir wissen es einfach nicht«, räumt Mcnu*tt ein. »Es ist so, als würde man ein Goldfischglas aus der Sicht des Fisches beschreiben wollen. Wir müssen irgendwie in die Lage kommen, alles von außen zu betrachten.« Laut einigen Modellen fließt die interstellare Materie mit einer Geschwindigkeit von rund 200Kilometern pro Sekunde sanft an der Heliosphäre vorbei wie Wasser am Bug eines Schiffs. Das sollte zu einer Form mit einem lang gezogenen Schweif wie bei einem Kometen führen. Ein Computermodell, das von einem Team um die Astronomin Merav Opher von der Boston University entwickelt wurde, sagt hingegen eine turbulentere Dynamik voraus, die der Heliosphäre eher die Form eines Croissants verleiht. »Darüber kann man sich auf wissenschaftlichen Konferenzen vortrefflich streiten«, kommentiert Mcnu*tt die Lage, »aber man muss schon Messungen machen, um zu sehen, was tatsächlich losist.«

Langlebige Technik mit unerbittlich schwindender Stromversorgung

Die Voyager-Sonden laufen mit 50Jahre alter Hardware. »So etwas wie Software ist praktisch gar nicht vorhanden«, sagt Krimigis. »Es gibt keine Mikroprozessoren an Bord– die waren damals gar nicht verfügbar!« Die Konstrukteure konnten sich für den Betrieb nicht auf Tausende von Codezeilen verlassen. Krimigis glaubt, die Technik hat so lange durchgehalten, weil fast alles fest verdrahtet war. »Die Ingenieure von heute haben keine Ahnung, wie man das macht. Ich weiß nicht, ob es überhaupt möglich wäre, noch einmal eine so einfache Raumsonde zu bauen. Die Voyager-Mission ist die letzte ihrer Art.« Cummings unterstreicht, wie schwer es allen fällt, sich davon zu verabschieden: »Wir sind bis zur Heliopause gekommen und haben damit etwas wirklich Erstaunliches erreicht.«

Bei Voyager2 funktionieren noch fünf Instrumente, bei Voyager1 vier. Alle werden von einem Bauteil angetrieben, das Wärme aus dem radioaktiven Zerfall von Plutonium in Strom umwandelt. Die Leistung nimmt um etwa vier Watt pro Jahr ab. 2019 war die NASA gezwungen, die Heizung für den Detektor für kosmische Strahlung abzuschalten, der für die Bestimmung des Moments entscheidend war, in dem die Heliopause durchschritten wurde. Alle erwarteten ein Versagen des Geräts. »Die Temperatur fiel um 60 oder 70Grad Celsius, weit außerhalb der getesteten Betriebsgrenzen«, erzählt Spilker, »und das Instrument funktionierte weiter. Es war unglaublich.«

Die letzten Überlebenden werden wahrscheinlich ein Magnetometer und ein Plasmadetektor sein. Sie befinden sich im Rumpf des Raumschiffs, wo sie durch die dort abgegebene Wärme auf Betriebstemperatur gehalten werden. Die anderen Instrumente sind an einem Ausleger montiert. »Wenn man die Heizung ausschaltet«, sagt Dodd, »werden sie sehr, sehr kalt.« Wie lange werden die Voyagers also durchhalten? Spilker hofft: »Wenn alles gut läuft, können wir die Missionen vielleicht bis in die 2030er Jahre verlängern. Es hängt nur von der Stromversorgung ab. Das ist der limitierende Faktor.«

Auch nach dem Ende der Mission werden die Reisen der Voyager-Sonden weitergehen. Sie werden mehr oder weniger intakt durch die Milchstraße driften, selbst wenn unsere Sonne längst nicht mehr existiert. Sollten sie irgendwann von einer außerirdischen Zivilisation entdeckt werden, überbringen sie jeweils eine letzte Nachricht auf einer metallenen Schallplatte. In deren Rillen sind Bilder und Töne verschlüsselt, die einen Eindruck von der Welt vermitteln sollen, aus der sie stammen. So ist neben dem Zirpen von Grillen und dem Geräusch fallenden Regens eine Aufnahme von Bachs Zweitem Brandenburgischem Konzert zu hören. Außerdem ist eine Erklärung von Jimmy Carter darauf, der zum Zeitpunkt des Raketenstarts Präsident der USA war. »Wir senden diese Botschaft in den Kosmos«, heißt es dort. »Wir wünschen uns, eines Tages, nachdem wir unsere Probleme gelöst haben, einer Gemeinschaft galaktischer Zivilisationen beizutreten. Diese Schallplatte steht für unsere Hoffnung, unsere Entschlossenheit und unseren guten Willen inmitten eines unermesslichen, Ehrfurcht gebietenden Universums.«

Voyager 1 und 2: Grenzgänger des Sonnensystems (2024)

FAQs

Did Voyager 2 leave the solar system? ›

It is at a distance of 136.1 AU (20.4 billion km; 12.7 billion mi) from Earth as of May 2024. The probe entered the interstellar medium on November 5, 2018, at a distance of 119.7 AU (11.1 billion mi; 17.9 billion km) from the Sun and moving at a velocity of 15.341 km/s (34,320 mph) relative to the Sun.

What is the difference between Voyager 1 and 2? ›

Voyager 1 is the furthest away but is still within the region dominated by the Sun and its solar wind and is still considered to be within the solar system. Both spacecraft have, however, passed the farthest known planets within our solar system - when Voyager 2 passed Neptune in 1989.

Where are Voyager 1 and Voyager 2 now? ›

Both Voyager 1 and Voyager 2 have reached "interstellar space" and each continue their unique journey deeper into the cosmos. In NASA's Eyes on the Solar System app, you can see the actual spacecraft trajectories of the Voyagers updated every five minutes.

What did Voyager 1 and 2 discover? ›

Between them, Voyager 1 and 2 explored all the giant planets of our outer solar system, Jupiter, Saturn, Uranus and Neptune; 48 of their moons; and the unique system of rings and magnetic fields those planets possess.

Will Voyager 1 ever leave the solar system? ›

Reflecting the Voyagers' new transplanetary destinations, the project is now known as the Voyager Interstellar Mission. Voyager 1 is now leaving the solar system, rising above the ecliptic plane at an angle of about 35 degrees at a rate of about 520 million kilometers (about 320 million miles) a year.

Will Voyager 2 leave the Milky Way? ›

Voyager 2 is also escaping the solar system at a speed of about 3.3 AU per year, 48 degrees out of the ecliptic plane to the south.

Will Voyager 2 ever stop? ›

All things being equal, Voyager 1 and 2 would probably happily continue operating forever, but they'll eventually run out of fuel. The plutonium inside their RTGs has a half-life of about 88 years.

Will Voyager 1 ever return to Earth? ›

They are both headed outward, never to return to Earth. So, can they get closer? The answer is that for a few months each year, Earth in its orbit moves toward the spacecraft faster than they're moving away. Earth's motion around the sun is faster than the motion of the Voyager spacecraft.

Will Voyager 2 overtake Voyager 1? ›

Although other probes were launched first, Voyager 1 has achieved a higher speed and overtaken all others. Voyager 1 overtook Voyager 2 a few months after launch, on December 19, 1977.

Does Voyager 2 still send pictures? ›

Though the probes are no longer sending pictures, they haven't stopped sending crucial information about space.

Has Voyager 2 found anything? ›

Voyager 2 is the only spacecraft to study all four of the solar system's giant planets at close range. Voyager 2 discovered a 14th moon at Jupiter. Voyager 2 was the first human-made object to fly past Uranus. At Uranus, Voyager 2 discovered 10 new moons and two new rings.

Can we still communicate with Voyager 1 and Voyager 2? ›

In Nov. 2023, however, Voyager 1's communications with ground operators stopped making sense. To be clear, however, Voyager 2, which followed its spacecraft sibling out of the solar system in 2018, is still operational and communicating with Earth.

Is Voyager 1 still transmitting? ›

Even once all its scientific systems are shut down, Voyager will continue transmitting a locator signal back to Earth, which will remain in range of the Deep Space Network until 2036.

How far past Pluto is Voyager 1? ›

Although we often consider Pluto the end of the solar system, Voyager 1 is more than three times farther than that and yet still within the Sun's domain.

How is Voyager 2 still working? ›

The safety mechanism, which protects the instruments in case the flow of electricity changes significantly on the spacecraft, contained a small amount of power that acted as a backup circuit. Now, that power can be used to keep Voyager 2's instruments up and running.

Is Voyager 2 still functional? ›

UPDATE, Aug. 1, 2023: Using multiple antennas, NASA's Deep Space Network (DSN) was able to detect a carrier signal from Voyager 2. A carrier signal is what the spacecraft uses to send data back to Earth. The signal is too faint for data to be extracted, but the detection confirms that the spacecraft is still operating.

How much longer will Voyager 2 last? ›

NASA is keeping Voyager 2 going until at least 2026 by tapping into backup power Engineers have bought the spacecraft's interstellar mission more time by using backup power from a safety mechanism. It means NASA no longer has to shut down one of its five scientific instruments.

How does Voyager 2 still have power? ›

Both Voyager probes power themselves with radioisotope thermoelectric generators (RTGs), which convert heat from decaying plutonium into electricity. The continual decay process means the generator produces slightly less power each year.

What went wrong with Voyager 2? ›

When Suzanne Dodd's team transmitted a routine command to Voyager 2 on July 21, the unthinkable happened: They accidentally sent the wrong version, which pointed the interstellar probe's antenna slightly away from Earth. When they next expected to receive data, they heard nothing at all.

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Author: Fr. Dewey Fisher

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Name: Fr. Dewey Fisher

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