Ein Jahr nach den Angriffen vom 7. Oktober in Israel: Hilfe für die Helfer (2024)

Während in Israel der Jahrestag der von der Hamas angeführten Angriffe vom Oktober 2023 näher rückt, ist die durch die Gräueltaten dieses Tages ausgelöste psychische Krise allgegenwärtig.

Während in Israel der Jahrestag der von der Hamas angeführten Angriffe vom Oktober 2023 näher rückt, ist die durch die Gräueltaten dieses Tages ausgelöste psychische Krise allgegenwärtig.

Ersthelfer wie die Fahrer der Krankenwagen und das medizinische Personal in den Krankenhäusern, die die Verwundeten aufnahmen oder als Erste am Ort des Geschehens eintrafen, wurden Augenzeugen des Blutbads und des Schreckens. Auch andere, die später bei der Identifizierung der Leichen und der Vorbereitung der Toten für die Beisetzung halfen, waren stark unter dem Eindruck dessen, was sie gesehen hatten.

Als Reaktion auf dieses kollektive Trauma bietet die Organisation Mashiv Ha'Ruach (was übersetzt „Den Geist zurückbringen“ bedeutet), psychologische und psychosoziale Unterstützung für Ersthelfer an. Ihre von WHO/Europa unterstützten Workshops bieten den Teilnehmern einen sicheren Raum, um über ihre Erfahrungen zu sprechen und sie zu verarbeiten und um Resilienz und Bewältigungsmechanismen zu entwickeln, die es ihnen ermöglichen, in die Zukunft zu blicken und andere Ersthelfer zu unterstützen.

Hilfe für die Helfer

In den Tagen nach den Anschlägen sah sich Eyal Kravitz, Gründer und Vorstandsvorsitzender von Mashiv Ha'Ruach, wie viele andere Menschen Videos von Einsatzkräften an, die unter unvorstellbar schwierigen Bedingungen Hilfe leisteten. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass die Ersthelfer und die Betreuer Unterstützung brauchten. Also beschloss ich, eine Hilfegruppe für Zivilisten aufzubauen.“ Zusammen mit dem Mitbegründer Daniel Chermon und anderen arbeitete er einen Aktionsplan aus.

„In den Tagen nach den Anschlägen haben sich so viele Menschen gemeldet, um zu helfen“, erinnert sich Chermon. „Und wir dachten: Wer hilft den Helfern?“

Eine dieser Helferinnen ist Vered Atzmon Meshulam, fachliche Betriebsleiterin von Mashiv Ha'Ruach und eine weitere Mitbegründerin der Organisation. Unmittelbar nach den Anschlägen vom 7. Oktober meldete sie sich als Psychologin freiwillig, um trauernde Familien bei der Identifizierung der Leichen ihrer Angehörigen zu unterstützen.

Diese schwierige und tiefgreifende Erfahrung brachte sie in Kontakt mit den Freiwilligen in den Such- und Bergungsteams, die zu den Ersten gehörten, die an den Anschlagsorten eintrafen. Sie waren von ihren Erfahrungen tief getroffen und litten in der Folge vermehrt an Schlaflosigkeit, posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und Angstzuständen, die sich als Dominoeffekt auch auf ihre Familien und Kollegen auswirkten. Doch in dem Chaos der folgenden Monate gab es keine Organisation, die sie bei ihrer Tortur unterstützte.

Bis Mashiv Ha'Ruach einsprang, um mit einem von Atzmon Meshulam entwickelten Workshop-Programm diese Lücke zu füllen. Die Workshops finden im Rahmen einer Klausurtagung statt, die in der Wüste, weit weg vom Lärm und den Ablenkungen des Alltags, abgehalten wird. Gruppensitzungen ermöglichen es den Teilnehmern, Erfahrungen auszutauschen und ein starkes Unterstützungsnetzwerk aufzubauen, das auch nach der Veranstaltung weiterbesteht.

„Zu den Symptomen eines Traumas gehört es, dass sich die Betroffenen stark von anderen abschotten. Sie haben das Gefühl, dass niemand verstehen kann, was sie gesehen haben“, sagt Atzmon Meshulam.

Zu den Gruppen, mit denen die Organisation zusammengearbeitet hat, gehören Ehefrauen von verwundeten Soldaten, freiwillige Ersthelfer und medizinisches Personal des Ärztlichen Zentrums Soroka, das viele der Opfer der Anschläge aufgenommen hat.

Gemeinsam das Trauma verarbeiten

Die Angriffe vom 7. Oktober haben bei der israelischen Bevölkerung tiefe Narben und eine tief sitzende Angst hinterlassen. Für viele schien es damals unmöglich, ihr Leben fortzusetzen und ein Gefühl von Sicherheit und Normalität wiederzugewinnen, und auch heute noch ist es schwierig.

Doch in den ersten Monaten nach den Angriffen waren viele Freiwillige nicht bereit oder willens, über das, was sie gesehen hatten, zu sprechen.

„Anfangs dachte niemand, über seine Erfahrungen sprechen zu müssen“, erzählt Chermon. „Daher war es am Anfang schwierig für uns, die Menschen zu überzeugen, zu uns zu kommen, doch nachdem die Ersten gekommen waren, erfuhren die Leute von ihren Kollegen, wie wertvoll diese Workshops sind.“

Eine Sprache, um Gefühle zu beschreiben und Erfahrungen auszutauschen

Oz Tal hat sich viele Jahre lang freiwillig bei einer nichtstaatlichen Organisation engagiert, die Such- und Bergungseinsätze durchführt. Er war auch nach den Anschlägen im Einsatz und geriet sogar unter Beschuss, als er versuchte, Leichen vom Nova Festival zu bergen.

Er erzählt, die Workshops hätten ihm eine Sprache gegeben, mit der er seine Gefühle beschreiben und ausdrücken kann, und durch den Austausch mit anderen sei es ihm gelungen, sein Trauma zu verarbeiten. Jetzt ermutigt er seine Kollegen, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen.

„Zunächst einmal sagen mir die meisten Freiwilligen, wenn ich sie auffordere, zu der Klausur zu kommen, dass es ihnen gut geht. Sie bräuchten nichts. Sie wollten nicht kommen. Aber während der Veranstaltung, nachdem wir angefangen haben, über unsere Gefühle zu sprechen, fängt die Erste an, von ihren Problemen zu sprechen, und dann folgt die ganze Gruppe. Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Atmosphäre in diesem Augenblick in dem Raum herrscht.“

Die Workshops beinhalten Aktivitäten, die den Teilnehmern dabei helfen sollen, ihre traumatischen Erlebnisse zu begreifen, Bewältigungsmechanismen zu finden und letztendlich eine Sprache zu finden, um über das Erlebte zu sprechen.

„Die Therapeuten arbeiten mit den Freiwilligen an der Bedeutung, die sie ihrer Geschichte geben, denn die Geschichte ist Realität“, sagt Atzmon Meshulam. „Sie können die Teile, die Schrecken enthalten, nicht ändern, aber Sie können die Art und Weise ändern, wie Sie mit sich selbst über das sprechen, was Sie durchgemacht haben.“

Nach der Veranstaltung sind die Teilnehmer ruhiger, sagt sie. „Ich habe eine Nachricht von der Frau eines Freiwilligen erhalten, der an den Workshops teilgenommen hat. Sie schrieb mir, dass sie einen neuen Mann zurückbekommen habe und dass er zum ersten Mal seit dem 7. Oktober wieder die ganze Nacht durchgeschlafen habe.

Um ein breiteres Netzwerk zur Förderung der Widerstands- und Unterstützungsfähigkeit aufzubauen, bietet die Organisation inzwischen den Partnern der betroffenen Einsatzkräfte und Freiwilligen Klausurveranstaltungen an.

Hodaya Leshem, Mutter von vier Kindern, die an einer solchen Veranstaltung teilnahm, ist mit einem verwundeten Soldaten verheiratet. „Bevor ich zu den Treffen kam, hatte ich keine Unterstützung. Ich musste alle in der Familie und in meinem Umfeld zusammenhalten, aber es war niemand da, der mich hielt.“

Widerstandsfähigkeit erhöhen

Das 40 km von Gaza gelegene Ärztliche Zentrum Soroka ist das Krankenhaus, das am 7. Oktober die meisten Verletzten aufnahm. In den ersten 16 Stunden wurden in der Notaufnahme etwa 680 Patienten behandelt, von denen 120 lebensgefährlich verletzt waren.

Viele Mitarbeiter des Zentrums haben enge Verwandte verloren oder wohnen in den Gebieten, die angegriffen wurden, und unter den Opfern waren auch zwei Ärzte und zwei Pflegekräfte im Ruhestand.

Dr. Dan Schwarzfuchs, stellvertretender Generaldirektor und Leiter der Notaufnahme am Ärztlichen Zentrum Soroka, wusste, dass er einen Weg finden musste, um es seinen Mitarbeitern zu ermöglichen, über ihre Erfahrungen zu sprechen.

„Sie sind stark“, sagt er. „Sonst würde man in diesem Beruf nicht überleben. Aber dies war eine außergewöhnliche Erfahrung, die Auswirkungen auf jeden Aspekt ihres Lebens hatte. Ich wusste tief in meinem Inneren, dass ich etwas finden musste, das ihnen helfen würde, widerstandsfähig zu bleiben.“

„Alle Mitarbeiter haben eine Geschichte“, fährt er fort. „Die Therapie macht sie stärker, und durch diese Erfahrung sind wir mehr miteinander verbunden. Kollegen, die vorher nicht über ihre Erfahrungen sprechen wollten, öffnen sich, weil sie von den Erfahrungen anderer hören. Menschen, von denen ich nicht erwartet hätte, dass sie jemals teilnehmen würden, tun es jetzt.“

Ayelet Harris ist Leiterin der Abteilung für Gemeinschaftsfragen der Kibbutz-Bewegung. In den Tagen und Monaten nach den Angriffen unterstützte sie intensiv die Familien der Kibbutz-Bewohner, von denen viele Angehörige verloren hatten und evakuiert werden mussten.

„Dies war das erste Mal, dass wir Einsatzkräfte uns äußern konnten. Unsere Energie war immer darauf ausgerichtet, anderen Menschen zu helfen und für sie da zu sein“, sagt sie. „Bei dem Workshop hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, wieder neue Energie zu tanken, da der Schwerpunkt auf mir und meinen Bedürfnissen lag. Es war ein sicherer Ort für mich, um auszudrücken, was ich durchgemacht habe, und da war jemand, der mir zugehört hat. Ein Ort, an dem ich einfach ich selbst sein konnte. Es war eine erfrischende und zugleich erneuernde Erfahrung.“

Ein Jahr danach – eine Bestandsaufnahme

Seit Januar 2024 hat Mashiv Ha’Ruach mit seinen Workshops fast 1000 Personen unterstützt.

„Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin ist nicht nur für sich selbst da. „Vielmehr werden sie zu Botschaftern, die dann 30 oder 40 Menschen an ihrem Arbeitsplatz oder in ihrem Umfeld unterstützen“, erklärt Kravitz.

Am ersten Jahrestag des 7. Oktober wird Dr. Schwarzfuchs am Ärztlichen Zentrum Soroka sein. „Ich dachte daran, zu Hause zu bleiben und mich mit meinen eigenen Erinnerungen zu beschäftigen, aber ich weiß, dass einige der Patienten, die wir an diesem Tag behandelt haben, zurückkommen werden, um psychologisch den Kreis zu schließen. Ich werde für sie und meine Mitarbeiter da sein.“

Er glaubt, dass die Menschen nach einem Jahr eher bereit sind, über ihre Erfahrungen zu sprechen.

„Am Anfang müssen die Menschen entweder kämpfen oder fliehen. Man verschließt sich, man will die Kontrolle über sich selbst haben. Aber ich habe das Gefühl, dass je mehr Zeit vergeht, desto mehr Menschen sprechen wollen.“

Chermon erkennt an, dass diejenigen, die anderen helfen, einen enormen Bedarf an psychosozialer Unterstützung haben: „Wir haben Mashiv Ha'Ruach nicht unter guten Vorzeichen gegründet. Aber Tatsache ist, dass die Menschen uns brauchen und auch in den kommenden Jahren noch brauchen werden.“

Kravitz fügt hinzu: „Die Unterstützung der WHO hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir mehr bedürftige Einzelpersonen und Gruppen erreichen konnten. Wir sind stolz darauf, die einzige Resilienz-Initiative in Israel zu sein, die dank der Empfehlung des israelischen Gesundheitsministeriums von der WHO anerkannt wurde. Diese Partnerschaft ist von unschätzbarem Wert, und ich bin der WHO zutiefst dankbar.“

Das Mandat der WHO besteht darin, schutzbedürftige Gesundheitsanbieter und Zivilisten zu unterstützen, unabhängig davon, wer sie sind oder wo sie leben. Neben der Unterstützung für Mashiv Ha'Ruach hat die WHO auch die israelische nichtstaatliche Organisation Mosaica bei der Entwicklung einer Initiative unterstützt, die den Einfluss religiöser Führer sowohl aus jüdischen als auch aus muslimischen Gemeinden nutzt, um Menschen die dringend benötigte psychische Unterstützung zu ermöglichen, die Inanspruchnahme solcher Angebote zu erhöhen und das mit der Hilfesuche verbundene Stigma zu bekämpfen.

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Author: Chrissy Homenick

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